Taps. Taps. Ein sachtes Klopfen an der Tür lässt mich aufhorchen. Ich öffne. Ein kleines unscheinbares Wesen strahlt mich freundlich an. „Hallo Freude! So eine Überraschung! Willst du reinkommen?"
Ein eifriges Nicken ist die Antwort. „Freude, du kommst wie gerufen.", sprudle ich los. „Ich brauche ein Thema für meine Diplomarbeit zur Lebens- und
Sozialberaterin. Magst du mir helfen?" Die Freude ist ganz aus dem Häuschen und klatscht begeistert in die Hände.
Von da an kommt sie zu Besuch. Tagein. Tagaus. An meiner Begeisterung und einem klaren JA erkenne ich, dass ich ein passendes, wenn auch ungewöhnliches Thema gewählt habe: Liebe zu Leben und
Freude am Sein im Mittelpunkt der Lebensberatung.
Ich schenke der Natur der Freude und des Glücks meine Aufmerksamkeit. Über Wochen und Monate wende ich mich dem breiten Spektrum der Gefühle und Empfindungen zu. Ich springe hinein ins Abenteuer Lebensfreude, führe Freude-Tagebücher, lasse mich von wohlwollenden Begleitern durch den Tag geleiten und lerne gleich die erste Lektion. Mit der Aufmerksamkeit auf die Freude werden auch andere Gefühle und Empfindungen stärker. Traurigkeit, Wut, Angst, winken mir zu. Enge, Druck, Anspannung, fordern meine Zuwendung. Was nun? Ich bin ratlos, halte inne.
Die Freude tippt mir auf die Schulter und flüstert mir etwas ins Ohr. „Annehmen, was ist!", flüstert sie, „Lass deine Gedanken, Gefühle und Empfindungen einfach so sein, wie sie sind. Es mag ein natürlicher Widerwille auftauchen, es mag sein, dass du dir die unangenehmen Gefühle wegwünscht, doch wenn du präsent und aufmerksam bei dem bist was ist, entsteht eine neue Qualität der Wahrnehmung."
Da hat sie gut flüstern die Freude. Unter uns, damit habe ich auch heute noch, Jahre später, meine Mühe. Und doch, ich habe verstanden, worum es geht.
Ja, es gibt Zeiten, in denen es unmöglich oder unerträglich erscheint, froh zu sein. Zeiten, in denen es hart ist, sich der Wahrheit der eigenen Gefühle und Empfindungen zu stellen. Dann stapfen wir durch die Sümpfe der Traurigkeit oder irren im Düsterwald umher. Und doch, egal wie kalt, dunkel, ungemütlich es scheint, irgendwann bricht ein Sonnenstrahl durch die Düsternis, erhellt der Mond die Sümpfe. Darauf vertraue ich und mit mir viele tausende Menschen, die den Weg der Präsenz und Achtsamkeit gehen. Schritt für Schritt. Moment für Moment. Empfindung für Empfindung.
Ich befürworte weder ein „denk immer positiv" noch ein „lächle und alles wird gut". Sorgen lassen sich weder
weglächeln noch wegdenken, sie haben ihre Berechtigung. Doch sie können gemindert und gemeistert werden.
Dieses chinesische Sprichwort hat seine Richtigkeit. Es kann nützlich sein, zu wissen, welche Tätigkeiten, welche Orte, welche Menschen und fröhlich machen. Ein Besuch im Theater, eine besondere CD oder Playlist, Schmökern in einer schön dekorierten Buchhandlung, uvm. Das was uns durch Zufall ein glückliches Grinsen entlockt oder einen Moment der Freude schenkt – kann jedes Mal etwas anderes sein. Wenn wir einen miesen Tag hatten, können wir auf die kleinen Dinge achten, die unsere Stimmung verbessern.
Freude anvisieren, ohne an ihr anzuhaften, will geübt sein. Eine neutrale Stimmung ist genauso ok. Ein mieser Tag ebenso. Freude ist kein „Must-have", sie
darf und soll frei sein. Frei von Anhaftung, frei von Vorstellung, frei von Idealen. Frei für die Unvorhersehbarkeit des Lebens, frei zu kommen und zu gehen, frei für kreatives und unerwartetes
Erscheinen. Genau dann wird das Sammeln von Glücksmomenten natürlich und echt.